
Mitten im Krieg wacht er auf. Mit offenen Augen liegt er noch eine ganz Weile auf seinem Bett. Er hört deutlich seinen Herzschlag. Immer wieder dieser Traum. Dieser Albtraum. Er als Kind auf dem Schoß seiner Mutter, weinend und in einem kalten, nassen Keller. Diese Angst, die auch die anderen in dem Raum erfasst hat. Keiner spricht, aber alle weinen still in sich hinein. Mit einem starren Blick ins Nirgendwo.
Er hat den Krieg nicht miterlebt, aber spürt heute noch die Angst seines Vaters in diesen unendlichen Nächten. In den Albträumen in unruhigen Zeiten. Längst ist diese Angst zu seiner eigenen geworden. Und sie verbindet sich mit der abgrundtiefen Traurigkeit zu einem gelähmten Leben. Er wacht auf und sieht nur Dunkelheit, obwohl es bereits taghell ist. Er steht auf und ist bereits damit überfordert. Mit langsamen Schritten stolpert er durch den Tag. Er hat überlebt. Die Schrecken des Krieges, die eigenen Verwundungen. Alles Vergangenheit. Aber jeden Tag präsent. Erschreckend präsent. Wie lässt es sich so leben?
Er hat überlebt. Auch durch die Liebe eines Menschen, der diese Angst nicht kennt. Sein Lachen lacht den Schrecken vorsichtig beiseite. So werden die Nächte und Tage erträglicher. Diese Liebe bedeutet geschenktes Leben. Für beide.
s j | d – 12. Mai 2023


