La Domenica in albis 2023

In diesem Jahr ist der Sonntag nach Ostern bei uns ganz besonders. Vor goldenen 50 Jahren ist ein kleiner Bub vom Geisenberg zur Erstkommunion gegangen. In einer gut katholischen Familie, in der Patin und Pate noch einen Ehrenplatz an der Familientafel bekommen haben. Durch das Dorf ging die lange Prozession mit 37 Jungen und Mädchen. Dahinter die Frauen und Männer, die im ersten Jahr der Passionsspiele 1923 in Rieden ihren feierlichen Tag hatten. Aus Sicht der Kinder alte Menschen mit Falten im Gesicht und den baldigen Tod vor Augen. Und erst dahinter die Eltern und Geschwister der festlich gekleideten Kinderschar. Das große Glockengeläut begleitete die Prozession, bis alle ihren Platz in der Kirche gefunden hatten und das Orgelspiel einsetzte.

Nach dem Gottesdienst ging es nach Hause. Ohne Kommunionphoto auf den Treppenstufen vor dem Kirchenportal. Nur mit der geweihräucherten Erinnerung im Herzen. Nach der Markklößchensuppe, den üblichen Fleisch- und Gemüseplatten und dem sagenumwobenen Markuspudding gab es die Geschenke. Besonders das grüne Klappfahrrad fiel auf. Vor dem Kaffeetrinken erhellten verschiedene Schnäpse die Stimmung. Die kleinen Erwachsenen staunten nicht schlecht. Und stahlen sich ins Kinderzimmer, um ungestört spielen zu können.

Das große Fest damals endete am nächsten Morgen mit der Dankandacht in der Kirche.

50 Jahre später sitzen wir alle um den großen Tisch im Wohnzimmer, inzwischen wieder auf dem Geisenberg. Ein bunter Haufen von Familie und Freunden. Nach dem schlichten Abendmahlsgottesdienst wird wieder Markklößchensuppe aufgetischt, es gibt Rindfleisch, Speckböhnchen und Spargel. Zum Nachtisch Creme-Törtchen und Kuchen. Die Stimmung ist wieder hocherhoben. Munteres Gespräch füllt die alten Gemäuer. Die Katze verzieht sich in das Schlafzimmer.          

Die Augen des Goldjubilars füllen sich plötzlich mit Tränen, als ihm sein Neffe verspricht, die alten Familienerbstücke wie Goldrandgeschirr, die Grablampe der Eltern und die einzigartige, große Familienkrippe in Ehren zu halten. Wenn er eines Tages den Weg in die Ewigkeit antritt. Ein ganz besonderes Geschenk an diesem Tag. Aber noch ist es lange nicht so weit.

Und alle stoßen am Ende des Tages fröhlich auf das Leben an.

s j | d – 2023-04-16

Kurzgeschichte 1

Ich arbeite gerade an meiner ersten Kurzgeschichte. Ich möchte im Rahmen meines dreijährigen Fernstudiums einige davon schreiben und eventuell in einem ersten Buch veröffentlichen.

Hier könnt ihr den Anfang der Geschichte im ersten Entwurf lesen, ohne dass ich mehr dazu verrate:

Wie jeden Morgen wachte Martin am Tag nach seinem Geburtstag gegen halb neun auf. Er war gerade 60 Jahre alt geworden und es hatte sich nichts geändert. Er ließ wieder eine traumlose Nacht hinter sich. Keinen Gedanken verschwendete er beim Aufwachen an seinen Beruf und die damit verbundenen Verpflichtungen; vor zwei Jahren schon hatte man ihn in den Ruhestand versetzt. Es hieß, er habe Depressionen und sei nicht mehr belastbar, stünde kurz vor einem Burnout. So jemanden wollte man nicht weiter mit den Problemen anderer Menschen belasten. Aber genau diese Einstellung seines Arbeitgebers bedrückte ihn. Er war gerne Zuhörender und Seelsorger. Er konnte sich in andere hineinfühlen und manchen guten Rat hilfreich mitteilen.

Auch an diesem Morgen setzte er sich zunächst auf die Bettkante und atmete tief ein und aus. Sein Blick fiel dabei auf eine Ikone, die er vor Jahren in einem italienischen Kloster gekauft hatte. Sie zeigte die Muttergottes Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm, das fröhlich und beinahe frech den Betrachter anlächelte. Jeden Morgen verneigte er sich vor diesem Bild und flüsterte ein leises „Amen“ vor sich hin. Erst dann stand er auf, zog seinen Bademantel an und ging in die kleine Küche. An der Spüle standen noch die Gläser und der Abwasch von gestern Abend. Obwohl er nicht feiern wollte, waren doch ein paar Freunde vorbeigekommen und haben ihn mit einem köstlichen Abendessen überrascht. Wohl hat er sich dabei nicht gefühlt. Erst weit nach Mitternacht war er endlich wieder allein.

Sein Tag begann mit einer kräftigen Tasse Kaffee, mit Milch, ohne Zucker. Er stellte sich vor das Fenster und blickte hinaus. Draußen war der erste zaghafte Schnee gefallen und der Garten war wie eingezuckert. Im Vogelhäuschen am Zaun zum Nachbargrundstück tummelten sich Spatzen und Blaumeisen. Seine Katze saß am anderen Ende der Wiese und beobachtete das gefiederte Getümmel mehr als aufmerksam.

Nach dem Frühstück spülte er das Geschirr ab und verstaute es im Schrank. Dann ging er ins Bad, putzte die Zähne, wusch sich und zog sich dann im Schlafzimmer an. Jeans, Tshirt und braune Sneakers lagen schon bereit.

So fertig angezogen ging er in sein Arbeitszimmer und griff nach dem Buch, das er gestern angefangen hatte zu lesen. Ein norwegischer Schriftsteller, der über seine Liebe zur Literatur und zum Schreiben berichtet. Er setzte sich in den alten Ohrensessel mit den bereits abgewetzten Armlehnen, legte die Beine auf den dazu gehörenden Hocker und versank in den Worten, Bildern und Sätzen. So konnte er alles um sich herum vergessen. Wie ein spannender Film zogen die verschiedenen Szenen des Buches an seinem inneren Auge vorbei.

Am späten Vormittag klapperte der Briefkasten vor der Haustür. Der Briefträger kam meistens pünktlich. Nur wenn ein Paket dabei war, klingelte er und die beiden hielten ein kleines Schwätzchen. Aber heute klapperte nur der Briefkasten. Bestimmt noch verspätete Geburtstagspost und die üblichen Rechnungen, dachte Martin. Ach ja, und die Wochenzeitschrift. Schließlich war heute Donnerstag. Die gab er aber meistens nur halbgelesen zum Altpapier, bevor er die neue Ausgabe in der Hand hielt. Das fünfte Kapitel war zu Ende gelesen und er legte das Buch beiseite. Langsam stand er auf und ging zur Haustür, nahm den kleinen Schlüssel vom Regal und öffnete dann damit den Briefkasten. Ein paar Briefe kamen ihm schon entgegen. Nachträgliche Geburtstagspost und zwei Rechnungen, genauso wie er es sich schon gedachte hatte. Und die Wochenzeitschrift. Ein wenig mürrisch griff er nach dem letzten, kleinen Briefumschlag. Die Handschrift kam ihm irgendwie bekannt vor. Ein Absender fehlte. Mit der gesamten Post zog er sich dann wieder in sein Arbeitszimmer zurück. Die Glückwünsche und die Rechnungen überflog er zügig. Die Schlagzeilen der Zeitschrift nahm er nicht einmal zur Kenntnis und legte alles vor sich auf einem Beistelltisch ab. Nur den Brief ohne Absender hielt er noch fest und starrte auf die Schrift und überlegte lange, woher er sie kannte (…)

Die Räbin – Eine Entdeckung

Am 8. März 2023 habe ich in meinem Blog geschrieben:

Und ich nehme mir die Freiheit, ein neues Wort zu erfinden, das es so noch nicht gibt: die Räbin. Das Wort bringt sehr gut das Bedrohliche des Mütterlichen, das ich meine, auf den Punkt.

Es ging damals um die Rückmeldungen zu zwei Gedichten von mir, in denen ich als Leitmotiv den Raben für etwas Bedrohliches verwendet habe. Ich habe mich belehren lassen, dass der Rabe ein intelligentes Tier sei und so gar nicht dem entspricht, was meine Absicht war. Also habe ich überlegt und den „Raben“ durch die „Räbin“ ersetzt. Ein Wort, das meiner Fantasie entsprungen ist.

Umso erstaunter war ich, als ich gestern in der Erzählung „Der Erwählte“ aus dem Jahr 1951 (im Übrigen eine dramatisch-ergreifende Geschichte von Thomas Mann) das Wort Räbin als Schimpfwort für die geschwätzige und wichtigtuerische Magd Jeschute fand. Lange vor meiner Fantasie gab es dieses Wort also schon. Es ist mir gleichsam aus höheren Sphären eingegeben worden.

Stopp. Jetzt geht aber mein literarisches Selbstbewusstsein mit mir durch. Zeit, wieder bescheidener zu werden.

s | j | d – 01.04.2023

Bild: Pixabay

Schreibtisch-Raum

Wer meinen Schreibtisch sieht, könnte mich für einen unverbesserlichen Chaoten halten (und Johannes würde dem jetzt heftig kopfnickend zustimmen *grins*). Immerfort räume ich mir einen Platz frei, um schreiben zu können. Verschiebe Gegenstände und Papierstapel von der einen Seite auf die andere, von vorne nach hinten. Suche mal meinen Tageskalender (ich brauche das eigenhändige Eintragen und Durchstreichen von Terminen und Namen. Ich könnte nie meinen Kalender im Smartphone führen.), dann wieder meinen Füller und ein anderes Mal Unterlagen für Beihilfe und Krankenversicherung oder das Finanzamt. Ja, ich gestehe, es ist mühsam mit einer Ordnung, die auch noch schön und einladend aussieht. Trotzdem finde ich Zeit und Raum zum Schreiben.

Wer besichtigt schon meinen Arbeitsplatz? In mein Büro mit Bücherschrank und Ohrensessel am Fenster – mein bevorzugter Leseplatz. Gerade erfreue ich mich an der Erzählung „Der Erwählte“ von Thomas Mann und ganz besonders an den Wortbildungen, Satzwendungen und dieser irren Geschichte –, also in mein Büro lade ich keine Gäste ein. Einmal, weil ich ihnen keinen Platz zum Verweilen anbieten kann. Zum anderen ist es für mich ein fast schon intimer Raum, direkt neben meinem Schlafzimmer. Es geht niemanden etwas an, welches Sammelsurium an Büchern ich im Regal stehen habe. Nur das kann ich sagen: die theologischen Bücher nehmen längst schon nur noch einen kleinen, fast unbedeutenden Raum ein. Längst ist Literatur in allen Farben und Facetten das Thema meiner Bibliothek.

Mein Arbeits- und Lesezimmer ist meine Klausur, in die ich mich von der Unruhe draußen oder unten im Wohnzimmer, wenn dort viele Gäste sind, zurückziehen kann. Dann zünde ich am Fenster eine Kerze an, atme tief durch, schaue in die Ferne oder meditiere über schönen Texten und Gedanken. Und ich habe angefangen, Worte zu sammeln. Wenn ich ein neues oder mir unbekanntes Wort in einem Buch gefunden habe, lege ich einen Zettel an, schreibe das Wort oder die originelle Wort-Verbindung drauf und füge es dem Buch hinten bei.

Trotz (oder vielleicht wegen) der Unordnung auf meinem Schreibtisch bin ich ein kreativer Mensch, sozusagen chaotisch-kreativ.

Aber vielleicht sollte ich ihn wirklich einmal wieder aufräumen…

s | j | d – 30.03.2023