
Ich habe lange überlegt, ob ich diesen sehr persönlichen Text vom 02. Januar 2023 veröffentlichen soll. Es ist mein ganz privater Nachruf auf Benedikt XVI., der am Silvestermorgen gestorben ist. Es sind ungewöhnliche, vielleicht auch eigenartige Sätze für einen evangelischen Pfarrer. Aber sie kommen tief aus meinem Herzen:
Der 11. Juli 2002 ist ein Donnerstag. Es ist der Namenstag des heiligen Benedikt, des großen Ordensgründers und Schutzpatrons Europas. Mit ein paar katholischen Freunden bin ich in Rom und wir haben uns schon in der Frühe aufgemacht zur Kirche Santa Maria della Pietà im Campo Santo Teutonico, dem Friedhof für die deutschsprachigen Pilgerinnen und Pilger hinter den Mauern des Vatikan.
Wie fast jeden Donnerstag feiert hier um 7:00 Uhr Kardinal Josef Ratzinger den Gottesdienst. An diesem 11. Juli 2002 sind nur wenige Besucherinnen und Besucher mit dabei. Mich beeindruckt die fast schüchterne, zarte Gestalt des Kardinals. In seiner frei gehaltenen Predigt dreht sich alles um Benedikt. Man spürt es Josef Ratzinger an, dass er zutiefst inspiriert ist von seinen Visionen, seiner Theologie und seinem Leben. Ich höre mehr als gebannt zu. Die Poesie in seinen Worten berührt mich. Der Liebe zu Jesus Christus ist nichts vorzuziehen – mit diesen Worten Benedikts lässt sich diese Predigt dann treffend zusammenfassen.
Mein Herz ist auf einmal geöffnet für das Geheimnis des Glaubens. Ich fühle mich angesprochen und eingeladen, nicht nur zu hören, sondern auch an der Eucharistie teilzunehmen. Mit meinen Freunden gehe ich nach vorne zum Altar und empfange die Kommunion aus der Hand des Kardinals. Sanft und wohlwollend schaut er mich an und ich bin zutiefst ergriffen von diesem ganz besonderen, einzigartigen Moment.
Drei Jahre später wird aus dem Benedikt-Prediger ein Benedikt-Papst. Ein einfacher Arbeiter im Weinberg des Herrn – wie er sich selbst nennt. Ich nehme ihm das gerne ab. So habe ich ihn im Gottesdienst erlebt. Und dann noch bei zwei weiteren Begegnungen Jahre später beim Weltjugendtag in Köln und auf dem Petersplatz. Ich weiß aber auch, dass sich an diesem Papst und Theologen die Geister bis zum Schluss scheiden. Er hat Widerspruch hervorgerufen und ausgehalten.
Meinen kleinen Glauben hat er nicht nur durch die Benedikt-Predigt im Juli 2002 gestärkt. Seine Jesus-Trilogie und seine Enzyklika „Deus caritas est“ gehören für mich zu den schönsten Texten des Seelsorgers und Theologen Josef Ratzinger. Seine poetischen Sätze wärmen mein Herz. Und machen mir Mut für meine eigenes Leben als Christ und Pfarrer.
Am 31. Dezember 2022 um 9:34 Uhr stirbt Benedikt XVI., längst schon emeritierter Papst. Noch vor dem Morgengrauen vernimmt eine Pflegekraft, die an seinem Sterbebett wacht, kaum hörbar seine letzten Worte: Signore ti amo. Herr (Jesus), ich liebe dich.
Als ich davon lese, bin ich wieder tief ergriffen. Jesus, ich liebe dich.
Und ich begreife: Auf diese unmittelbare Begegnung mit Jesus kommt es allein an. Das zu glauben genügt. Der Liebe ist nichts anderes vorzuziehen.
Mit diesem schlichten Herzensbekenntnis lässt es sich wohl leben und sterben.
Pfarrer i.R. Sven Dreiser am 2. Januar 2023