Ich arbeite gerade an meiner ersten Kurzgeschichte. Ich möchte im Rahmen meines dreijährigen Fernstudiums einige davon schreiben und eventuell in einem ersten Buch veröffentlichen.
Hier könnt ihr den Anfang der Geschichte im ersten Entwurf lesen, ohne dass ich mehr dazu verrate:

Wie jeden Morgen wachte Martin am Tag nach seinem Geburtstag gegen halb neun auf. Er war gerade 60 Jahre alt geworden und es hatte sich nichts geändert. Er ließ wieder eine traumlose Nacht hinter sich. Keinen Gedanken verschwendete er beim Aufwachen an seinen Beruf und die damit verbundenen Verpflichtungen; vor zwei Jahren schon hatte man ihn in den Ruhestand versetzt. Es hieß, er habe Depressionen und sei nicht mehr belastbar, stünde kurz vor einem Burnout. So jemanden wollte man nicht weiter mit den Problemen anderer Menschen belasten. Aber genau diese Einstellung seines Arbeitgebers bedrückte ihn. Er war gerne Zuhörender und Seelsorger. Er konnte sich in andere hineinfühlen und manchen guten Rat hilfreich mitteilen.
Auch an diesem Morgen setzte er sich zunächst auf die Bettkante und atmete tief ein und aus. Sein Blick fiel dabei auf eine Ikone, die er vor Jahren in einem italienischen Kloster gekauft hatte. Sie zeigte die Muttergottes Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm, das fröhlich und beinahe frech den Betrachter anlächelte. Jeden Morgen verneigte er sich vor diesem Bild und flüsterte ein leises „Amen“ vor sich hin. Erst dann stand er auf, zog seinen Bademantel an und ging in die kleine Küche. An der Spüle standen noch die Gläser und der Abwasch von gestern Abend. Obwohl er nicht feiern wollte, waren doch ein paar Freunde vorbeigekommen und haben ihn mit einem köstlichen Abendessen überrascht. Wohl hat er sich dabei nicht gefühlt. Erst weit nach Mitternacht war er endlich wieder allein.
Sein Tag begann mit einer kräftigen Tasse Kaffee, mit Milch, ohne Zucker. Er stellte sich vor das Fenster und blickte hinaus. Draußen war der erste zaghafte Schnee gefallen und der Garten war wie eingezuckert. Im Vogelhäuschen am Zaun zum Nachbargrundstück tummelten sich Spatzen und Blaumeisen. Seine Katze saß am anderen Ende der Wiese und beobachtete das gefiederte Getümmel mehr als aufmerksam.
Nach dem Frühstück spülte er das Geschirr ab und verstaute es im Schrank. Dann ging er ins Bad, putzte die Zähne, wusch sich und zog sich dann im Schlafzimmer an. Jeans, Tshirt und braune Sneakers lagen schon bereit.
So fertig angezogen ging er in sein Arbeitszimmer und griff nach dem Buch, das er gestern angefangen hatte zu lesen. Ein norwegischer Schriftsteller, der über seine Liebe zur Literatur und zum Schreiben berichtet. Er setzte sich in den alten Ohrensessel mit den bereits abgewetzten Armlehnen, legte die Beine auf den dazu gehörenden Hocker und versank in den Worten, Bildern und Sätzen. So konnte er alles um sich herum vergessen. Wie ein spannender Film zogen die verschiedenen Szenen des Buches an seinem inneren Auge vorbei.
Am späten Vormittag klapperte der Briefkasten vor der Haustür. Der Briefträger kam meistens pünktlich. Nur wenn ein Paket dabei war, klingelte er und die beiden hielten ein kleines Schwätzchen. Aber heute klapperte nur der Briefkasten. Bestimmt noch verspätete Geburtstagspost und die üblichen Rechnungen, dachte Martin. Ach ja, und die Wochenzeitschrift. Schließlich war heute Donnerstag. Die gab er aber meistens nur halbgelesen zum Altpapier, bevor er die neue Ausgabe in der Hand hielt. Das fünfte Kapitel war zu Ende gelesen und er legte das Buch beiseite. Langsam stand er auf und ging zur Haustür, nahm den kleinen Schlüssel vom Regal und öffnete dann damit den Briefkasten. Ein paar Briefe kamen ihm schon entgegen. Nachträgliche Geburtstagspost und zwei Rechnungen, genauso wie er es sich schon gedachte hatte. Und die Wochenzeitschrift. Ein wenig mürrisch griff er nach dem letzten, kleinen Briefumschlag. Die Handschrift kam ihm irgendwie bekannt vor. Ein Absender fehlte. Mit der gesamten Post zog er sich dann wieder in sein Arbeitszimmer zurück. Die Glückwünsche und die Rechnungen überflog er zügig. Die Schlagzeilen der Zeitschrift nahm er nicht einmal zur Kenntnis und legte alles vor sich auf einem Beistelltisch ab. Nur den Brief ohne Absender hielt er noch fest und starrte auf die Schrift und überlegte lange, woher er sie kannte (…)